...gelesen...

Michael Buschmann
Rock im Rückwärtsgang. Manipulation durch "backward masking" (Schulte + Gerth 1987)

Der Titel lässt auf ein "Sachbuch" schließen, doch tatsächlich ist es ein christlicher Erbauungsroman. Selten habe ich so ein schlechtes Buch gelesen! Nicht nur ist die Story total konstruiert und unglaubwürdig, schlecht geschrieben mit Dialogen wie aus einem drittklassigen Fernsehfilm, sie strotz auch nur so von falschen Behauptungen und Verdrehungen, wie Dierk Heimann in "Backward Masking. Fluch oder Flop?" bereits aus christlicher Sicht nachgewiesen hat. Aber das ist dem Autor Michael Buschmann wohl egal: ihm geht es offenbar darum, ein paranoides Klima bei christlichen Eltern und Erziehungsberechtigten, die von Rock und Pop keine Ahnung haben und immer noch von Lärm und Negermusik reden, zu erzeugen, wonach Heavy Metal und auch der Rest der Popmusik von Gotteshass und Teufelsanbetung durchzogen sei. Dazu konstruiert er zwei Teenager (Celeste Rousseau und Gina Sheehan), die durch den Zusammenstoß mit einem alten Mann namens Saul Gideon (ein Jude verkündet den wahren Glauben an Christus, Buschmann macht wirklich Nagel mit Köpfen in seinem Machwerk) die satanische Botschaft des Rock'n'Roll am eigenen Leib erfahren und am Ende des Buchs entweder wiedergeboren sind, bzw. sich auf die Seite Satans geschlagen haben, während Saul von KISS ("Knights in Satans Service", alles klar?!) rituell ermordet wird, quasi für die Erlösung Cels sein Leben gibt, so wie Jesus am Kreuz für uns alle (außer für Patti "Jesus didn't die for my sins" Smith). Dieses Buch ist das Papier, auf dass es gedruckt wurde, nicht wert (Die armen Bäume, die dafür ihr Leben lassen mussten!). Schade nur, dass sich Buschmann nicht traut, den Unsinn mit der Behauptung, dass die Masterbänder von Rockplatten vor ihrer Veröffentlichung in einer schwarzen Messe "geweiht" werden (siehe dazu Fernando Salazar Banol "Die okkulte Seite des Rock" F. Hirthammer Verlag 1987, S. 82: "13 speziell ausgewählte Personen rufen "Colban" an. Sie legen die Hände auf und rufen zu den Dämonen, dass sie erscheinen mögen. Dann führt man die Anrufung des "Rija" durch (der Fürst des Satankults), damit er den Dämonen befehle, dass sie jede von dieser Matrix (Matrix?! Reloaded?!) aufgenommene Schallplatte oder Kassette begleiten; dies geschieht mit jeder Schallplatte, die für eine der großen Firmen hergestellt wird und dies ist zugleich der Grund warum die Leute sie kaufen, denn sie enthalten Zauberei...". Das Buch bietet auch so großartige Informationen wie dass KISS eine Punkband ist und ACDC für "AntiChrist/Death to Christ" steht! Bruhaha!! Noch mehr unfreiwilligen Humor bietet außer John Rockwells "Trommelfeuer. Rocktexte und ihre Wirkungen" (Schulte & Gerth, 1990) noch das "Wir wollen nur Deine Seele" (Christliche Literatur-Vereinigung e.V. Bielefeld/Verlag und Schriftenmission der Evangelischen Gesellschaft für Deutschland Wuppertal, 1984) von U. Bäumer, wo u.a. sämtliche Tranceerlebnisse bei Rockmusik in die Nähe satanischer Besessenheit gerückt werdeb werden. Bäumers Buch "Rock. Musikrevolution des 20. Jahrhunderts - eine kritische Analyse" (Christliche Literatur-Vereinigung e.V. Bielefeld, 1988) dagegen versucht sich etwas seriöser zu geben, rührt aber unterschwellig die gleiche paranoiden fundamentalistisch-christlichen Vorteile gegen Rockmusik zu einem zähen pseudowissenschaftlichen Brei an. Auch wenn Bäumer das "backward masking" kritisch hinterfragt bleibt der Rest des Buches von suggestiven Andeutungen und manipulativ zusammengestellten Fakten geprägt. - Übrigens sollte an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass nicht nur Satanismus und Heavy Metal (siehe dazu die blutige Geschichte von Mayham), sondern auch Christentum und Rockmusik eine gefährliche Mischung darstellen können, wie David Koresh ja fernsehwirksam mit dem Feuersturm von Waco, Texas der Rest der Welt bewiesen hat.) zu toppen, sonst wäre die Lächerlichkeir noch größer. Aber im Ernst: die Verbohrtheit von Buschmann in die wissenschaftlich unhaltbare Pseudotheorie vom "backward masking" geht stark in die Richtung eines Ernst Zündel und dessen Holocaust-Leugnung und macht das Buch zu einem echten Ärgernis.
(2003-05-27)

Dave Thompson
Better To Burn Out. The Cult of Death in Rock'n'Roll (Thunder's Mouth Press 1999)

"Nirvana. Das schnelle Leben des Kurt Cobain" war ja eher ein Schnellschuß-Produkt zum Abkassieren von Kurts Tod und wenn auf dem Umschlag von "Better To Burn Out" Dave Thompson als Autor von mehr als 50 Büchern angepriesen wird, dann ist der Vorwurf "schnell schreiben ohne Recherche" nicht abwegig. Quellenangaben gibt es in diesem Buch auch nicht. Und so entpuppt sich die tolle Story, dass 1997 in einem Hamburger Klub ein Heavy/Black Metal-Sänger namens "Gunther Dietz" (im Internet auch als "Gunther Deitz" zu finden) beim Sprung von der Bühne statt von den Fans aufgefangen von ihnen auf den Betonboden gefallen lassen wurde, als offenbar frei erfunden. Kein genaues Datum, kein Name des Konzertsaals oder der Band, nur dass der Gitarrist "Kugel" hieß und von Dietz/Deitz vor dem Konzert gefeuert wurde, weshalb das Publikum ihn wortwörtlich fallen lies, dass Dietz/Deitz noch eine Minute gelebt und nach seiner Mutter gerufen und ein Fan auf den Sterbenden gepinkelt habe (Im Internet gibt es noch einen Namen eines Augenzeugen - Egor Prosnecki, klingt sehr deutsch für doofe Amis, oder? - und eine Quelle: "Private Eye", ein englisches Satiremagazin. Alles klar?! - Es gibt noch eine weitere Quellenangabe: The Vibe: Sleaze, October 4 1996, danach könnte das auch im September/Oktober 1996 passiert sein - aber so oder so, die Story wäre sicher irgendwo in der deutschen (Musik-) Presse aufgetaucht, wenn sie stimmen würde, und dann auch in weiteren Internetarchiven, insbesondere deutsche zu finden.). Die Story ist einfach zu gut, um sie auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. (Eine bessere Story ist folgende: im Voyazh Club (Moskau, Altufevskoe Shosse 13, Str. 2) wurde vor ein paar Jahren mal ein Sänger einer Rockband von der Bühne gezerrt und von der aufgebrachten Menge umgebracht. Quelle: Ausgabe #5 von "The Living Here Guide to Clubs and Bars", einer zweimonatlichen englischsprachigen Publikation aus Moskau, irgendwann vor 2000.)
Das wirft leider ein schiefes Licht auf den Rest des Buchs. Offenbar sind die Storys danach ausgesucht worden, wie gut sie sind und ob der Autor schnell was aus seinem Archiv dazu etwas hervorkramen konnte - aber nicht danach, ob sie wirklich wichtige Personen betreffen und die Todesfälle in einem besondern Zusammenhang mit dem Musikgeschäft stehen. Über den Tod von Patsy Cline (Country-Superstar, vielleicht von der Relevanz mit Buddy Holly vergleichbar?) hätte ich wirklich mehr wissen wollen, ebenso Graham Bond (Satanismus!) und Bobby Fuller (ermordet von der Mafia?), Ricky Nelson und Terry Kath (angeblich beim russischen Roulette selbst erlegt), Phil Ochs (Selbstmord aus politischer Verzweiflung) und John Denver (besoffen Flugzeug geflogen), Sam Cooke und Otis Redding, Selena (von ihrer Fanclubpräsidentin erschossen), Wendy O. Williams und Rob Pilatus (genau, einer der beiden Milli Vanilli-Pantomimen, der über seinen tiefen Fall nicht hinwegkam), Hank Williams und Bob Marley, um mal nur auf die Schnelle ein paar Namen zu nennen. Einige Jazzer tauchen auch auf, aber warum dann nicht Albert Ayler (Selbstmord), Bessie Smith (aus Rassismus an fehlende Ärztlicher Behandlung gestorben) und Jaco Pastorius (totgeprügelt)? Die sind sicher wichtiger auch für den Rock'n'Roll als Ramases oder Dwayne Goettel. Auch Soeur Sourire und Cheb Hasni hätten in jeden Fall bessere Todesstorys abgegeben als noch ein Autounfall eines Industrial-Keyboarders oder der Drogentod eines Skapunk-Sängers. Aber das hätte ja alles mehr Recherche bedeutet, ebenso die Namen der Mordopfer der Miami Showband herauszubekommen (Fran O'Toole, Brian McCoy und Tony Geraghty).
Insgesamt eine auf den ersten Blick lustige Wochenendelektüre ohne großes Niveau, die aber dann doch einen ziemlich faden Nachgeschmack hinterlässt. "Alles oder nichts - Rock'n'Roll-Exitus in den 70er Jahren" von Greil Marcus (zu finden in seinem Buch "Im faschistischen Badezimmer", Rogner & Bernhard 1994 - hier fand ich auch den ersten Hinweis auf die Miami Showband, von Marcus falsch als "Miami Showbank" aufgeführt) ist zu dem Thema weiterhin unerreicht.
(2003-05-12)

Kathy Acker
Pussy. König der Piraten (Maas Verlag 1997)

Puh, das ist anstrengend. Okay, es geht um Sex, Sex zwischen Frauen, manchmal auch Männer, Masturbieren, tote Mütter, verschwundene Väter, Männer, die keine Kinder haben wollen, Huren und Piraten und anderes. Es geht um eine Frau auf der Suche nach Liebe und Selbstwert. Und trotzdem gibt es kaum eine Handlung, weil Acker den üblichen Erzählfluss zerstört, ignoriert, dekonstruiert. Soll heißen, dieses Buch ist (wie auch die meisten anderen von Acker) schwierig zu lesen, weil der/die LeserIn nie davon ausgehen kann, dass ein Satz mit dem vorangegangenen etwas zu tun hat. Vielleicht sollte mensch es auch gar nicht lesen, sondern rauschhaft verschlingen, um es nicht zu verstehen, sondern zu erfühlen. Denn Kathy Acker schreibt eher wie mensch denkt: mal logisch, mal assoziativ, mal sprunghaft, mal verwirrt. Erzählstränge tauchen auf und brechen ab, Handlungen wiederholen sich mehrmals, aber immer wieder aus einer anderen Perspektive, Texte anderer Autoren werden in Bruchstücken integriert (Oder nur nachempfunden? Ich kenn die Originale nicht.), Biografien von anderen Schriftstellern angerissen (hier ist es Artaud), die Ich-Erzählerin wechselt ihren Namen - und plötzlich erzählt Acker von ihren eigenen Reisen mit dem Motorrad durch Ostdeutschland und Kalifornien, Begegnungen mit Menschen. Es mag sein, dass dies die Erzählform der Zukunft ist, im Augenblick ist das aber noch härteste Avantgarde und sehr sehr anstrengend. Aber schließlich traf bisher jede neue Kunstform zuerst auf Ablehnung und Ignoranz beim Massenpublikum, um 50 bis 100 Jahre nach dem Tod des Künstlers/der Künstlerin als Klassiker der Moderne gefeiert zu werden. Kathy Acker ist vor ein paar Jahren an Krebs gestorben und dieses Buch ist derzeit vergriffen. Ich weiß nicht genau, warum ich es gelesen habe (vielleicht aus dem gleichen Grund, warum ich Metal Machine Music von Lou Reed anhöre: Distinktionsgewinn - aber wem, der es ernst nimmt, kann ich davon erzählen?). Das Buch hat mir nicht wirklich gefallen, aber es nötig einem Respekt ab. Was vielleicht viel wichtiger ist, um den Grad künstlerischer Relevanz zu ermessen. (Buchauszug zum download)
(2003-04-23)

Birgit und Michael Rauhut
Amiga (Schwarzkopf & Schwarzkopf 1999)

Der Umschlag zeigt es schon, es geht nicht um alte Computer, es geht um alte Schallplatten. Amiga war in der DDR das staatseigene Label für Rock- und Popmusik (insgesamt leistete die DDR sich 6 Plattenlabel, während der übrigen Ostblockstaaten oft mit nur einem auskamen) und dies ist der Katalog aller Veröffentlichungen in diesem Bereich (Schlager, Volksmusik und andere leichte Unterhaltung erschien auch bei Amiga, sind aber hier nicht enthalten). Abgebildet sind die Cover aller Veröffentlichungen, dazu alle Angaben zu Songs, Autoren, Musiker, Produzenten und Redakteuren (he he, Produzenten im westlichen Sinne gab es nicht bei der Amiga), sowie Grafiker und Erscheinungsjahr. Die Cover sind fast durch die Bank grauenhaft bis Kult (also nicht viel schlechter als die BRD-Plattenkunst zu Krautrock-Zeiten), wobei bei den Singles oft die gleichen Druckvorlagen für bis zu 3 verschiedene Singles verwendet wurden. Bei den Lizenzübernahmen westlicher Platten wurden teils auch die Cover durch DDR-Höhlenkunst ersetzt, wobei auch interessant ist zu sehen, mit welcher Verspätung manche Sachen übernommen wurden, oder wo Amiga ganz fix war, und die Mischung der Lizenzübernahmen ist auch bizarr. Zur Geschichte der Rockmusik in der DDR gibt das Buch nicht viel her außer ein paar einleitenden Worten (dazu empfehle ich eher Olaf Leitner "Rockszene DDR" von 1983 und Michael Rauhut "Beat in der Grauzone" von 1993), aber jetzt weiß ich endlich, welche komischen Gruppen auf meinen auf alten Hallo-Samplern spielen, die ich auf dem Flohmarkt gefunden habe.
(2003-04-06)

C.O.Paeffgen
Objekte in Farbe (Kestner-Gesellschaft 1993)

Ein Katalog der Kestner-Gesellschaft in Hannover, ein Kunstverein mit 75jähriger Geschichte, der sich um moderne Kunst kümmert. Da hab ich sogar mal Andy Warhol live gesehen und A.R. Penck am Schlagzeug. Was mich stutzig machte, als ich diesen Katalog im Antiquariat sah, war, dass Paeffgen den gleichen Nachnamen trägt wie Nico (von Velvet Underground - das muss jetzt hinzugefügt werden, damit mehr Menschen verstehen, was ich meine) und auch aus Köln kommt. Hm, irgendeine Verwandtschaft? Ist aber auch egal, denn die "Objekte in Farbe" sind tatsächlich in Bonbonfarben bemalte Obstkisten, zu größeren Gruppen angeordnet und mit lustigen Titeln versehen (Erinnert sich noch jemand an Drudel-Bilder? Der Humor von deren Bildtiteln ist dem von Paeffgen sehr ähnlich.). Kommt auf den Abbildungen sehr bunt und ist im Original sicher noch schöner. Und wichtig für Prolls: es ist keine intellektuelle Meisterleistung beim Betrachten notwendig. (Und für SPEX-Leser: Nein, auch keine doppelt- und dreifach kodierten Idiosynkrasien.) Man sollte sich nur Sprüche wie "Das soll Kunst sein?" oder "Das kann ich/mein Kind auch!" verkneifen, denn erstens ist Paeffgen, nicht Du, auf diese Idee zuerst gekommen, und zweitens: ein gutes Form- und Farbgefühl ist immer noch ein entscheidender Unterschied zwischen Kunst und dem Rest der Welt.
(2003-04-06)


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