Kid P. konnte sich der Prügel, die ihm in
Berlin angedroht wurde, noch rechtzeitig entziehen, um den zweiten
Teil seiner deutschen Wahrheiten fertigzustellen.
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(Foto: LFI)
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Kid P. war in Berlin!
RENTNER, TÜRKEN, COMMIES UND VERSAGER
"There are many people in die world who really don't understand
what is the great issue between die free world and die communist world.
Let them come to Berlin! There are some who say that Communism is the
wave of the future. Let them come to Berlin!" (sagt John F. Kennedy
vor dem Schöneberger Rathaus am 26.6.1963).
Von Kid P.
Dazu höre ich Frank Sinatra und Gene Kelly singen "Berlin,
Berlin, a wonderful town" (wie in ihrem New-York-Kiassiker "Heut
gehn wir bummeln"), begleitet von schwulen, steppenden Vopo-GoGos
(erinnere dich an Mel Brooks' Naziballett "Springtime for Hitler.")
und twistenden Hausbesetzerteenies (die "West Side Story"-Masche).
Aber keine farbigen Revueträume mehr, denn Berlin besteht heute aus
Rentnern, Türken und Versagern (jenen, die Kennedys Aufforderung
gefolgt sind). Die Ersten (und die übrigen Angehörigen des dummen
und frechen Volksstamms "Berliner", den Bayern des Nordens)
haben ihr Leben vergeudet und müssen mitansehen, wie ihr gutes altes
Berlin, von dem man sagt, es wäre einmal schön gewesen, die
Kanalisation hinuntergeht. Wäre das verlogene Gefühl "Mitleid"
nicht so lächerlich altmodisch, hätten sie meins. Die Zweiten
sind als exotische Ghettotierchen Lieblingsspielzeug an linken, liberalen
und anderen selbstgefälligen, dummen Spießerstammtischen (Aktuellster
Türkenwitz aus der BILD-Zeitung: "Wie bekämpft man das
Türkenproblem in Berlin? Mit Wasserballspielen! Die Türken bekommen
die grünen Mützen, die Krokodile die roten." Hintergrund:
Berlin ist Deutschlands Wasserballhochburg.). Von den Dritten handelt
diese Geschichte.
Ich treffe und unterhalte mich mit Musikern, die (immer) dumm und spießig
sind und nichts auszusagen haben. Und mit Künstlern, die überdreht/verdreht
sind und nichts Interessantes auszusagen haben. Und ich treffe sehr wenige
Ausnahmen.
Sehr viele der Szene kamen aus dem Bundesgebiet, um dem Wehrdienst zu
entgehen, zu studieren oder im Bodensatz der alternativen Kunst/Kulturszene
auf den Durchbruch zu hoffen. Und alle (fast alle) können mit dem
Leben nicht zurechtkommen. Oder wie es PVC, die mir vorkommen wie Berlins
Fremdenwerber Nr.1, freundlicher ausdrücken: Sie sind Versager, weil
sie sich dem bürgerlichen Leben/Trott versagen. Mein Gott, und ich
hoffte schon, diese Aussteigerideologie wäre die Sache des letzten
Jahrhunderts.
Und die wichtige Regel der Berliner Szene: Sei bloß nie unwichtig
und gewöhnlich. Jeder ist beschäftigt mit lebenswichtigen Sachen
wie Musikmachen, Filmen, Performances, Malen blablablabla. Aber rede nicht
von so profanen Dingen wie dem täglichen Leben, oder daß du
dein Geld als Lastwagenfahrer verdienen mußt. Max Goldt (Sänger
der mittelmäßigen Foyer des Arts, dessen Witz mich nicht trifft;
aber noch eine der besseren Berliner Bands) arbeitet als Matthias Ernst
(bürgerlich) als Reiseleiter für Stadtrundfahrten. Und ihm ist
das peinlich. (Kommentar: Unverständnis in der Redaktion)
Dieselben Aussagen bei der Industrie (die, die es geschafft haben, wie
Jim Rakete, der Spliff-Manager, der sich gern als idealistischer
Fotograf mit lausigen Kontoauszügen vorstellt) und in der alternativen,
Kunst- und Dilletantenszene (die, die es noch schaffen wollen, und nicht
zugeben, sich schon seit Jahren erfolglos abzustrampeln): Keiner will
ein Star sein und reich und jedem auf den Kopf pinkeln, sondern nur seine
ernsthafte, wichtigtuende, anspruchsvoll unterhaltende Aussage/Botschaft
vermitteln. Die alte Künstler/Amateur-Marotte, an die ohnehin (fast)
keiner mehr glaubt. Aber es macht sich doch immer gut, nicht wahr? Jim
Rakete (der, Anfang dreißig, schon gebrochen und alt aussieht) erzählt
mir, er kann im Gegensatz zum skrupellosen Malcolm McLaren beim Rasieren
noch in den Spiegel schauen. Ich bin für Malcolm McLaren! Und alle
erzählen mir, Malaria (Gudrun, Bettina) und Blixa Bargeld (Falschgeld)
seien rücksichtslos "geldgeil".
Und Thomas Kapielski (ein 30jähriger, unauffälliger, uninteressanter,
ernsthafter Allround-Künstler/Schwätzer der weiten Liga) beschwert
sich, daß ich soviel von Geld rede (wovon denn sonst? Höchstens
noch: Sex). Und (fast) alle Berliner jammern, daß ich so böse
und gemein bin und viele Vorurteile habe und mich in Berlin so unbeliebt
gemacht habe.
1977/78, in den Frühwehen neuerer deutscher Wellen, wußte keiner
genau, was los ist in Berlin. Und jeder meinte, es müßte was
ganz Tolles sein. Ach hätte man ihnen doch bloß genauer auf
die Finger gesehen, denn herausgekommen ist nur der normale zähflüssige
Breitquark deutscher Prägung, mit Berlin-üblicher (meist peinlicher)
Übertreibung. Aber spätestens jetzt merkt jeder, daß man
in Berlin völlig den Anschluß verschlafen hat und weit hinter
Düsseldorf und (sogar!) Hamburg liegt. Du merkst, für jemanden
wie Andreas Dorau müssen wir dem Himmel danken! Und für Berlin
bleibt der "Trost", immer noch vor Bremen, Hannover, Frankfurt
und Bottrop zu liegen.
GESCHICHTE
Man kann Geschichte in Berlin riechen, erzählt mir Mark Reeder
und deutet auf die Weltkrieg-2-Einschußlöcher in Kreuzberger
Häusern. Die Deutschen waren schon immer gute Spürhunde (dazu
braucht man auch keinen Verstand), und die Berliner laufen schon 50 Jahre
dem Mythos der 20er/frühen 30er Jahre nach. Der Legende, als Berlin
noch kulturelle Hauptstadt der Welt war (aber ich kann nicht nachprüfen,
ob es wirklich so toll war!), und die Massen noch wirklich auf der Straße
kämpften. Erzähl mir nicht, daß man 1968 oder in der Kreuzberger
Hausbesetzerszene auf derselben Fährte ist/war. Diese Leute (Spinner,
Querschläger) sind nur dazu da, daß die Massen sich im Fernsehen
oder der BILD-Zeitung über sie lustig machen. Oder man liefert ihnen
das Stichwort: "Wir gehen duschen, in die Fabrik" singen Malaria,
die sich als wild/ungezähmt-eleganter Ausdruck Berliner verruchter
Dekadenz verkaufen. Auch wenn sie eine der besten deutschen Bands sind
(was heißt das schon!), mir sind sie zu steif, ernst, gekünstelt
und frigide. Und verhätschelt wie kleine Kinder, höre ich. Seit
sie im Studio 54 (NY) von Leibdienern verwöhnt wurden. Viele erzählen
mir mit hämischem Vergnügen, sie wären nicht die Klügsten/Intelligentesten.
Und sie sollen noch jung (Anfang bis Mitte zwanzig) sein. Sie langweilen
mich. Aber Deutsche können eh nicht mit ihrer Geschichte umgehen
(höchstens "einen Flash kriegen", wie Knut Schaller/PVC,
wenn er an der Ruine des Anhalter Bahnhofs vorbeigeht). Ihnen fehlt die
Distanz, der Witz und der Stil. Etwas besser kommt da schon Mark Reeder
zurecht, ein 24-jähriger, arbeitsloser Engländer, Factory-Vertreter
für Deutschland und Mitglied der Langweiler-Gruppe Die Unbekannten
(die nicht ernsthaft sein wollen, aber nichts besseres als den schleppenden
Joy-Division-Sound zustandekriegen). Mark ist eins der wenigen Berliner
Originale und immer für einen (Führer) Witz gut. Bei einem Auftritt
in der Nähe von Dachau kommt er mit Führergruß auf die
Bühne und sagt "Ich bin zurückgekommen". Solche Witze
sind nicht jedermanns Sache, und natürlich gibt es dumme Studenten,
die Plakate der Unbekannten runterreißen, oder Berliner Polizeistreifen,
die die Unbekannten mit Maschinenpistolen an der Mauer stellen,
wo sie im Nebel und in langen SS-Mänteln Promoaufnahmen machen. Oder
Mark wird von Vopos verhaftet, als er wieder mal in Ost-Berlin billigen
Wodka kauft, gekleidet in volle Rommel-Wüstenfuchs-Uniform. Mit anschließendem
Verhör, wie wir es auch aus billigen Agentenfilmen kennen. Auch wenn
mir einige seiner Aktionen keinen Spaß machen, hat er immerhin gemerkt
(wenn er auf der Bühne zitiert, wie afrikanische Neger auf ihren
Erlöser/Führer warten, und ihnen das Kraft gibt), daß
wir HELDEN brauchen.
DAVID BOWIE/IGGY
"Weil sie unschlagbar erscheinen, werden wir Helden für einen
Tag. Wir sind dann wir, an diesem Tag", singt Bowle in seiner
übermächtigen "Heroes"-Hymne, (vielleicht) mein Lieblingsstück
aller Zeiten. Er bringt Iggy Pop mit nach Berlin, und mit ihren vier gigantischen
Platten (LOW, IDIOT, HEROES, LUST FOR LIFE) machen sie alles vorher und
nachher überflüssig und sagen alles über das Leben und
über Berlin, oder besser: über das Berlin, das sie sich wünschen,
aber das es nicht gibt. Bowie spielt sein altes Spiel: von ihm ist in
Berlin mehr zu hören als zu sehen. Wenn er mal irgendwo auftaucht
(wie mit Iggy zur Eröffnung des SO 36, 1979), wird er sofort bestürmt,
leider nicht nur von schönen Frauen, sondern auch von Punks mit tiefschürfenden
Fragen wie "Wie findsten Jimmy Pursey?" (bei gleicher Gelegenheit
verfolgt Harry Rag Iggy und preist ihm Mittagspause an). Und Bowle spielt
in dem Low-Camp-Klassiker "Schöner Gigolo, armer Gigolo"
(das Pop-Ereignis, in dem große, wichtige Themen - Berliner Nazi/Weimargeschichte
- mit Groteskunterhaltung verquirlt wird), der zusammen mit "Cabaret"
(grandiose Revue und, mit Iggy/Bowie, beste Berlin-Musik aller Zeiten,
trotz langweiliger High Camp-Handlung) der beste Berlin-Film überhaupt
ist. Mit der unvergeßlichen Szene, in der die preußische Generalswitwe
Kim Novak ihren Mann beerdigt und in einer Leichenhalle vorm Regen Schutz
sucht, wo sie von Bowie hergenommen wird. Während Bowle auch in Berlin
in (langweiligen) Künstlerkreisen verkehrt (von Tangerine Dream bis
Romy Haag), macht Iggy das, was kleine Jungen in großen Städten
tun: Ausgehen und sich besaufen (so sehr, daß er in einer Nacht
von einem Witzbold volltrunken in einer Telefonzelle eingeschlossen wurde
und die Polizei anrufen mußte, um sich befreien zu lassen)
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Rotziger und leicht tölpelhafter Charme:
Nina Schultz
(Foto: Gerald Schultz)
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VERLORENE UNSCHULD
"Sag, was mach ich bloß/meine Sehnsucht ist so groß/wie
das Bild von dir an meiner Wand/Ringo oder John/ja sogar ein Rolling Stone/hätt
mir längst ein Autogramm gesandt/Doch ich habe eingesehn/ich muß
andere Wege gehn/und drum singe ich für dich jetzt dieses Lied",
sang Marianne Rosenberg vor zehn Jahren in dem gigantischen Gefühlsdrama
"Mr. Paul McCartney", dem Song, mit dem Joachim Heider mit sparsam-hypnotischer
Instrumentierung und Monotonbeat die Neue Welle (oder zumindest Andreas
Dorau) vorweggenommen hat. Die zärtlichste, unschuldige Liebeserklärung
(an einen Star) seit Judy Garland's "Dear Mr. Gable" aus den
vierziger Jahren. Ein Meisterwerk der Popmusik und des erwachenden weiblichen
Selbstbewußtseins im Marianne RosenbergImage.
"Gimme gimme gimme gimme gimme your love" sangen die Teens
1978 auf ihrer ersten klassischen Bubblegum-Mutation (Bay City Rollers
gegen Wall City Rockers!), zu einer Zeit, als sie noch wie Gummibärchen
aussahen. Und ein Jahr später waren sie in dem Alter, in dem BRAVO-Leser
ihre Helden brauchen und sangen Songs "aus dem Teeny-Alltag: der
Tag gehört der Schule, aber den Abend hat man für sich alleine,
und den verbringt man am schönsten verliebt zu zweit" (Werbetext).
Marianne Rosenberg und die Teens haben angefangen mit kindlichem (nicht
kindischem!), stürmischen Charme und haben keine souveräne weibliche/männliche
Eleganz und Reife gewonnen. Die Zeit hat sie überflüssig gemacht,
und die Kids (Vulgärausdruck für Jugend) brauchen neue Heiden/Ideale
(aber nicht: Ideal!). Marianne Rosenberg ist bei Siegel/Meinunger, den
Totengräbern des deutschen Schlagers, gelandet.
Und die Teens, die vergangenes Jahr als letzte Zuckung "Eloise"
gecovert haben (nicht ganz schlecht, aber besorg dir unbedingt das Original/die
Greatest Hits des genialen Pop-Kitsch-Schrei-Carusos Barry Ryan!), haben
jetzt keinen Sänger mehr und dafür einen dicken Tastenmann.
Du merkst: das muß das endgültige Ende sein.
Neue Teenagerhelden 1982? Tempo haben es vor zwei Jahren versucht
(irgendwo in der Nachfolge des 60er-Berliner-Schlagerrockern Drafi Deutscher,
aber ohne dessen Ausstrahlung). Aber sie waren einfach zu lahm und einfallslos
(trotz ihres "Kalt wie Eis", ein gutes Lied), und alle Berliner
(die noch dümmer als Tempo waren) haben sie gehaßt. Ihr Sänger
Dave Balko hat sich als peinlicher Ersatz-James-Dean in zwei Filmchen
versucht und hat jetzt (angeblich) seine Band "Club E". Und
Tempo nehmen nach ihrem Schiffbruch bei der Industrie (sie waren für
das Geschäft mit der Neuen Welle zu früh dran) mit neuer Besetzung
noch einen Anlauf.
Also Nina Schultz? Sie war das Mädchen, das in Albrecht Metzgers
"Hippie-trifft-auf-Berlin"-Video tanzte, in den Pausen zwischen
den auftretenden öden Secondhand-Kapellen. Sie hatte den rotzigen
und leicht tölpelhaften Charme von ländlichen Provinzschönheiten,
wie sie unbeholfen/locker/naiv im Supermarkt steppte und sich auf der
Straße dilettantisch verrenkte. So stelle ich mir DDR-Jugendkultur
vor, nachdem sie im Westfernsehen alte Monroefilme gesehen haben. Danach
erschien sie Sonntag vormittag als TV-Ansagerin im Jugendprogramm, und
spätestens jetzt mußt du dich fragen, ob wirklich die Gleichung
Blond gleich Blöd stimmt. Ich beantworte es mal so galant wie möglich:
ihre Antworten auf meine Fragen waren nicht die intelligentesten. Aber
bei der HÖRZU hält man das für ungezwungen und druckt ihr
Foto, und die BRAVO macht mit ihr eine Fotostory (4 Seiten lang ein Tag
im Leben der NS), die im Juni/Juli erscheinen soll. Nina geht zur Zeit
zur Artistenschule, wo sie sich auf "Schlangenmensch" spezialisieren
will, und wohnt mal hier, mal da, in besetzten Häusern oder bei ihren
geschiedenen Eltern (ihre Mutter ist bei derselben Theatergruppe wie Albrecht
Metzger, der "Roten Grütze" buhh!, daher Ninas TV-Kontakt).
Und sie will berühmt werden (oder auch nur ein kleines bißchen
bekannt) und singt deshalb nicht mehr bei Rubber Beat (früher: Panda,
oder umgekehrt), sondern läßt sich als Solostar von Michael
Voigt verkaufen, als Mini-Kim Wilde/Mini-Monroe. (Ein Vergleich, den ich
nicht zulassen kann.) Ihre Songs hat Gerrit Meijers geschrieben (der Ex-PVC-
und jetzige White Russia-Gitarrist): vier Hard-Rock-Nummern mit mittelmäßigen
Melodien und zuviel Gitarrengewichse.
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Mark Reeder zeigt Humor (Foto: Carsten Grau)
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DIE MAUER
"Today in the world of freedom the proudest boast is: Ich bin
ein Berliner", und Tausende in Sportpalast-Stimmung jubeln 1963
vorm Schöneberger Rathaus John F. Kennedy zu. (Zur Erklärung:
Berliner sind dicke Pfannkuchen, aus denen rote Marmelade quillt, wenn
du raufdrückst.) John F. Kennedy war Amerikas ranghöchster Sexstrolch,
zumindest solange, bis Lyndon B. Johnson kam. Er hat Marilyn Monroe bestiegen
und war an ihrem Untergang beteiligt. In ihrer dekadenten Endphase färbte
sich MM die Schamhaare blond und verzichtete auf ihr Höschen, und
als JFK wieder unter ihrem Kleid beschäftigt war, zuckte seine Hand
verärgert zurück. Er vermißte ihr Höschen. Und Berlins
alternative Marketingmanager wollen Nina Schultz zur koketten Low-Budget-Marilyn
aufbauen. Wann schließt sich der Kreis?
An der Wand von Knut Schallers Wohnung hängt ein blauer 60er-Jahre-Popteppich
mit den Porträts von John F. und Robert Kennedy. In den 50er Jahren
war Knut an seiner Volksschule der Star, weil er als erster eine Original-US-Levi's
Jeans hatte. In seinem Zimmer stapelt sich US-Popkultur der 50er/ 60er:
Spielzeugautos, Postkarten, Nackt-Frauen-Figuren. Das macht ihn mir erstmal
sympathisch (auch wenn er anscheinend z.B. die klassischen Corgi-Modelle,
das Batmobil und den 007-Aston-Martin vergessen hat). In den 60ern/ frühen
70ern hat er in London gelebt und später das Berliner Nachtleben
mit Harald Inhülsen und Wolfgang Büld (dem "Punk"-Filmer
aus dem Sauerland) durchstreift. Und PVC gegründet. Die absolut
keinen Spaß machen (verstehen?), sondern ernsten lärmigen langweilenden
Rock (eine Art langsame Schwermetallausgabe der UK Subs). Und sie liegen
richtig damit in der Heavy-Hochburg ohne Spaß Deutschland. Auch
wenn sie eigentlich (schon seit 4 Jahren) auswandern wollen, nach New
York, der einzigen Stadt, die ihnen über Berlin geht (Oh Gott, das
alte Klischee). Aus der ihr Schützling (?) Joy Rider kommt, von der
mir wirklich jeder in Berlin erzählt hat, daß sie in NY nichts
werden konnte. Und Jimmy Fox, PVC-Gitanist und Joy Rider-Freund, dementiert
und sagt, ich soll ihn lieber nicht mehr treffen, wenn ich das von Joy
behaupte. Es paßt auch nicht ins starke, gesunde Berlinimage, das
PVC erfunden haben und kernig vertreten, auch wenn Knut den "Wall
City Rock" nicht so tierisch ernst haben will (dazu ist es viel zu
lächerlich) und die Mauer am liebsten in rosa (huuuh, als schwules
Fanal?) hätte. Und schließlich seien sie auch unfähig,
irgendwas anderes zu spielen. Motörhead sind freiwillig witzig und
PVC immerhin manchmal unfreiwillig.
DER ANTIIMPERIALISTISCHE SCHUTZWALL
Großzügig angelegte Bauwerke kennzeichnen das Innenstadtbild
der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik. Weiträumige
Architektur aus dem Modellbaukasten und gemächlicher Straßenverkehr
mit motorisierten Seifenkistenfahrzeugen der Marke "Trabant"
entführen in die Märchenwelt des DDR-Sandmännchens und
der (inzwischen ausgelaufenen) Nachmittags-Kultserien "Professor
Flimmrich" und "Meister Nadelöhr - Besuch im Märchenland".
Einzig völlig unpassende, westliche Konsulats-Limousinen stören
das harmonische Stadtbild. Die Menschen sind anspruchslos und bescheiden.
Die DDR bietet ein Bild der pittoresken Armut. Man sollte dieses unsägliche
Berlin-Problem in der passenden und geschmackvollen Art und Weise erledigen,
die uns Tommi Stumpf/KFC empfiehlt: "West-Berlin samt Punks, Fixer,
Türken, Sex Shops, Ideal, Hausbesetzer, Hunde, Dreck, Rentner, Künstler
und ähnliche Berliner an die DDR verschenken! Die einzige Möglichkeit,
dieses Pack loszuwerden!"
P.S. White Russia ist nicht etwa der Vertreter der (glücklicherweise)
spärlichen Ost-Berliner Punkszene, sondern natürlich eine weitere,
höchst überflüssige Psychedelik (?)-Hard-Rockgruppe (Prolo-Band,
wie mir gesagt wird), aus ehemaligen PVC- und FfursBestandteilen. Wirkliche
Russen haben mehr Spaß! Den richtigen Best gab Chrutschow an, als
er in der UNO mit dem Schuh auf den Tisch schlug!
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Blixa Bargeld/Einstürzende Neubauten
(Foto: Hemme/h&h)
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DILLETANTEN
Eine weitere unnötige Erfindung, um dummen Plattenkäufern und
Medientrotteln eine jahrhundertalte Sache schmackhaft zu machen. Das "Geniale-Dilletanten"-Buch
(im Merve-Verlag) hatte den Sinn, den Intellektuellen zu geben, was sie
wollen: Erfinde im nachhinein die passende Ideologie und mach dich über
sie lustig! Aber es war nicht lustig, und der Spaß spielt sich beim
Hirnwichsen der Macher ("Dilletanten") ab. Um über den
ganzen abgehobenen Humor von Blixa/Neubauten bis Tödliche
Doris lachen zu können, muß man wohl so eine zerbrochene
Figur wie Alfred Hilsberg ("Berlinhörig" sagt DD) sein,
der jeden einzelnen der ganzen Szene als intelligenter einschätzt
als mich (eine Feststellung, auf die er Wert legt). Und andere Doris-Fans
sind der bekannte Hamburger Kulturkritiker und Richter Dietrich Kuhlbrodt
und der DDR-Dramatiker Heiner Müller. Und Doris-Geräusche werden
in einer Wiener Disco gespielt. Genug Alarm! Finger weg!
Beim Telefongespräch mit Wolfgang Müller (dem Macher hinter
Tödliche Doris) machte er einen etwas weniger schlimmen Eindruck
als befürchtet Was wohl daran liegt, daß er kein Abitur hat,
sondern nach dreimaligem Sitzenbleiben nur eine Art Hilfs-Mittlere Reife
(mit drei Fünfen). Er hält Hamburg für asexuell, und in
Berlin "wird viel geflckt" (Volksmund: Dumm fickt gut). Und
ergänzt: "Ficken ist eigentlich langweilig", (Alfred Hilsberg
mischt sich ein: "Stimmt!"); wenn man keinen guten (aufregenden)
Partner hat. Ihn interessiert, wen ich für gut halte. Antwort: Debbie
Harry (genauer: Debbie 1977 und 1979).
Frieder Butzmann (28) legt Wert darauf, kein Dilettant zu sein.
Als 5-jähriger hatte er die zwei folgenden traumatischen Erlebnisse:
er mußte mitansehen und -hören, wie sein Vater (Kunstschmied
aus Konstanz) im Prä-Neubau-Stil Hammerschläge auf Tonband aufnahm,
was unweigerlich dazu führte, daß Frieder mit seinem Metallschwert
(und der Kraft eines 15-jährigen) die Nachbarskinder mit ihren Holzschwertern
verprügelte. Die logische Konsequenz: mit 8 baute er sein erstes
elektronisches Instrument, und mit 12 saß er als psychedelischer
Prä-Hippie im buntbemalten Kinderzimmer. Nach der Ausmusterung wegen
Übergewicht und dem schadenfrohen Grinsen der Prüfungskommission,
er verpasse nun bei der Bundeswehr die beste Gulaschsuppe der Welt, geht
er als Student nach Berlin, wo er bittend auf Anrufe (Tel. 324 12 66)
sexhungriger Mädchen unter 48 Kilo wartet. Aber: Spiele ihnen nicht
deine Produkte vor, wenn ihr zusammen Spaß haben wollt! (Mehr Abnormitäten
bei Frieders Kumpane, dem Urberliner, verrückten, trinkenden Sexzwerg
Burkhard Seiler, dem Zensor).
Mutfak, 19-jähriger gescheiterter Germanistikstudent (im ersten
Semester), leidet auch am übermäßigen Alkoholgenuß
und hat deshalb überall Hausverbot. Er war nirgendwo aufzutreiben,
und ich kann nicht beurteilen, ob er das witzige Original ist, von dem
alle erzählen (ich bezweifle das). In seinem Fanzine "Y-KLRMPFNST"
wird er immer dann peinlich, wenn er über Gott und die Welt doziert
(seine letzte Ausgabe ist voll davon!). Und witzig, wenn er zum Beispiel
Interviews mit sich selbst führt. Mit der Krachband "Hans und
Gabi" tritt er als Vorgruppe der UK Subs auf, und BRAVO schreibt
(im Dezember 1980): "Volle Flaschen zerschellten an der Wand hinter
der Buhne, Hans und Gabi spielten unverdrossen weiter, obwohl Sänger
Mutfak bereits aus einer Schramme am Kopf blutete. Erst eine Invasion
von etwa 30 wild um sich prügelnden Punks brachte die sechs Helden
zum Schweigen." Jetzt durchstreift er die Stadt mit anderen "Vollstarken",
der neuesten, besonders fiesen und gemeinen, von ihm miterfundenen Straßengang
mit ihrem neuen Gesellschaftstanz "Haufen" (ich mag keinen Gruppensex!).
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Frieder Butzmann und Thomas Kiesel
(Foto: Sabine Schwabroh)
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PUNKS
Jimmy Fox/PVC erzählt mir von einer neuen, ganz harten, gnadenlosen
Kreuzberger Punkszene, die das nächste wichtigere Ding werden kann.
Kann Punk noch wichtig sein? Interessiert mich das? Karl Walterbach bringt
auf "Aggressive Rock-Produktion" die wichtigsten deutschen Punkbands
heraus (Slime, Betoncombo usw.) Das Schlagwort von den neuen Hippies langweilt
mich, und noch schlimmer ist, daß es zutrifft.
PEOPLE'S RECORDS
1980 gründen Michael Voigt und Elisabeth Recker mit
Heirat (10000-DM Ehestandsdarlehen) das Monogam-Label. Elisabeth posiert
nackt für das Cover der ersten Single, Rainy Day Women. Michael Voigt
ist seine Mitwirkung daran heute peinlich. Denn er legt Wert darauf, der
einzige in der Szene zu sein, der kein Musikfan ist. Er will ein Produkt
gut verkaufen und wäre lieber Grundstücksmakler, wenn er das
könnte. Und er ist der Geldhai, der alle hereinlegt (die dumm genug
sind, wie er betont). Eine gute und gesunde Einstellung in verkleinerter
Jack-White-Tradition, jenem smarten und cleveren Musikproduzenten,
der durch hochkarätige Scheiße (Schöne Maid, Jürgen
Marcus usw) reich geworden ist. Laß die Trottel dieser Erde sich
daran abreagieren, damit sie woanders keinen Schaden mehr anrichten. Sie
werden dir dankbar sein! Aber noch ist dieser Anspruch für Michael
"Nase" Voigt ebenso etwas unpassend wie sein C&A-Mini-Manager-Outfit.
Mit seiner People's Records-Firma (und seinem Mitarbeiter Michael Schäumer,
dem Ex-P-1/e-Synthispieler mit Ex-Phil-Oakey-Frisur, von dem man sagt,
er müsse als Straßenfeger dazuverdienen) kümmert er sich
vorwiegend um die zweite und dritte Liga. Er wird die nächste Lydia
Lunch-Platte produzieren, die im Sommer für drei Monate nach Berlin
zieht und Alfred Hilsbergs Berliner Wohnung gemietet hat. Sein nächstes,
größeres (noch namenloses) Projekt ist eine LP mit vier Sängerinnen,
die weibliches Selbstbewußtsein auf Liebesliedern zu melodischer
Swingmusik verkörpern sollen und belehrende Nihilistenpolitik des
Russen Netschajew (um 1850) rezitieren, zum Lärm/Powersound der frühen
Chrome/Ubu. Die Sängerinnen sind bisher: Daniela (früher bei
Hans & Gabi, 18-jährige Ballettänzerin und kommende Modedesignerin.
Mode in Berlin: keine, und wenn, dann regiert der Bolschewik-Chic, den
du dir im englischen Mode-Hipblatt "Face" ansehen kannst), Minou
My-Ling (36) aus Bali, Ex-Tourmanagerin von Birthday Party, AuPairs und
Gang of Four, und Freundin von Andy Gill (Gang of 4); und
*** (1), die mir Voigt als wunderschön
und liebreizend beschrieb. Und sie selbst empfiehlt mir zu schreiben:
"Meine, süße Französin", ihre einzigen deutschen
Worte; ihre Standardantworten hießen "I don't care" und
"I'm like a flower". Meine Meinung: 98% Pose, 2% Cleverness,
0% Erotik.
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Sprung aus den Wolken (Foto: Ute Kemphake)
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DER REST
Die Goldenen Vampire könnten laut Frieder Butzmann die gleiche Wirkung
wie früher Mittagspause haben. Ihr abgewandelter 60er-Garagenbeat/Rockabilly
ist konventionell und langweilt mich (sie erzählen von modernen Einlagen,
die ich auf ihrer Livecassette nicht höre), aber sie sind immerhin
nicht unerträglich peinlich. Und wer den Ralph Bendix-Hit "Hotel
zur Einsamkeit" spielt und Flutsch-Finger, das neue pornographische
Eis von Langnese (der Ed von Schleck-Nachfolger), mag, kann nicht ganz
schlecht sein. Und dem Sänger verzeihe ich fast noch seine Thorax
Wach-Vergangenheit (diese Öd-Gruppe aus Göttingen) für
das Verdienst der Band, die Pension Stammheim (dieser Name und dann aus
Bonn!) mit Knüppeln in die Flucht geschlagen zu haben. Für die
Aufforderung an den Vampire-Gitarristen, sich erstmal das Peter Bursch-Gitarrenbuch
zu kaufen, gehören sie auf ewig in den Hochsicherheitstrakt!
Die Goldenen Vampire werden demnächst mit Panther Bums (passend,
weil ähnlich langweilend) und danach mit Lydia Lunch und Birthday
Party (unpassend, weil anders langweilend) auf Tour gehen und beim Zensor
eine Single' machen.
Der Rest ist verbrannte Erde. Alle stehen sie in der Hölle der ganz
trostlosen/unangenehmen Fälle: Die Ichs (hohler Dilletanten-Lärm),
Geile Tiere (hohler Schwulenlärm), MDK (hohler Hard-Rock
und peinlich aufgesetze Magma-Klischees), Sprung aus den Wolken
(hohle Hippie-Geräusche), das ganze Cassetten-Combinat (mit
hohler, alter Hippie-UndergroundKunst-Attitüde), Leben und Arbeiten
(mit hohlem, lärmigen, leidenden Monoton-Beat und ausrasiertem Nacken,
die von diesem ganzen Haufen noch den besten Eindruck machen, am wenigsten
alt und verstaubt sind. Auf ihrer Maxisingle haben sie ein langsames,
erträgliches Akkordeonstück). Und der ganze Bodensatz der alten.
und jämmerlichen Bands wie Interzone, Belami, UKW, Prima Klima,
Neonbabies, Scala 3, Lilli Berlin, 1.Futurologischer Congress, Ideal
und Spliff sind die erfolgreichsten. Ich weiß: Es gibt den
häßlichen Deutschen immer noch.
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Goldene Vampire
(Foto: M. Gerstenberger/Malbuch)
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DER ROCKBEAUFTRAGTE
Regierungsdirektor Bernd Mehlitz, (42) ist der begehrteste Mann
in der Szene, schreibt die BRAVO. Er ist die letzte Hoffnung überflüssiger
Musiker, doch noch zum Durchbruch zukommen. Und er ist die letzte Hoffnung
überflüssiger Bürokraten (des Senats), denen die Jugend
(wer immer das ist) schon längst aus den Händen geglitten ist.
(Gegen Mißverständnisse: Politiker sind Manager, die ihren
Job schlecht erledigen - von diesem grauenvollen Politik-Verständnis
müssen wir uns natürlich distanzieren - Red.) Politiker kriegen
es immer als Letzte mit, und 1980 hängt sich der Senat mit seinem
Rockwettbewerb an den Zug. 166 Bands beteiligen sich (1981: 225 Bands),
und zu den Gewinnern gehört Perplex, die Gruppe von Lutz
Manthe, dem freien Senatsmitarbeiter und Jurymitglied. Was selbst
dem Kulturdezernat zu peinlich ist, das Manthe stillschweigend entfernt.
1981 hat sich der Neue-Deutsche-Welle-Trend auch schon bis zur Berliner
Jury herumgesprochen (bestehend aus dem alternativen Abschaum der Hippie-Musiker-Rockjournaille),
und der Manthe-Nachfolger Bernd Mehlitz (ein gutmütiger, bärtiger,
treuseliger Amateurjazzer) beklagt, daß originelle Gruppen wie Foyer
des Arts keine Chance gehabt hätten. Das grauenhafte Ergebnis (die
Siegerbands) war im dritten TV-Programm zu sehen. Die Fernsehwerbung (und
nicht die lächerliche, vom Senat bezahlte Single) ist der Anreiz
für die Beteiligung an der Rock-Tombola. Alle sind glücklich
und zufrieden, und der Senat hat für 1982 einen 2,2 Millionen-Etat
bewilligt. Bands aus der BRD möchten auch gern in der Berliner Finanzsonne
liegen, und andere Stadtregierungen werden das Modell vielleicht übernehmen.
Der Senat hat das Plattenstudio Wilmersdorf eingerichtet (für 150
000 Mark, 16-Spur), wo Bands ohne Plattenvertrag für ca. 250 DM vier
bis fünf Tage aufnehmen können. Das Quartier Latin wird vor
der Pleite gerettet und soll jetzt mehr Berlin-Bands spielen lassen. Gruppen
bekommen Ausfallbürgschaften für Tourneen und Hilfe beim Besorgen
von Übungsräumen. Erzählt mir Bernd Mehlitz in seinem Büro
im 17. Stock des Europacenters, mit Blick auf die Gedächtniskirche.
Er ist der Mann, dem besorgte Mütter gerne ihre rockenden Söhne
anvertrauen.
AUSGEHEN
Du kannst in Berlin 24 Stunden unterwegs sein und dich 24 Stunden dabei
langweilen. Auftritte in der Music Hall (Rheinstraße 45)
und im SO 36 (Oranienstraße), zu denen die Szene geht (300
bis 500 Leute, ergänzt durch den üblichen Schwall alter und
neuer Hippies). Die Szene (zumindest was Alfred Hilsberg darunter versteht,
also Dilletanten, Punkies, Auswurf) trifft sich ab Mitternacht im Risiko
(Yorkstraße). Der Rest und alle, die dazu gehören wollen, (also
die neue Boheme, die der Spiegel in seiner Titelgeschichte drei Jahre
zu spät breitwalzt), kommen ab 2 Uhr in den Dschungel (Nürnberger
Straße 54, ohne Namensschild), einer halbwegs gut gestylten, taghellen
(man will gesehen werden), ehemaligen Eisdiele, Künstler und Schimmel-Schickeria
gehen auch ins Nacht-Cafe Exil (Paul Lincke-Ufer), eine unfreundlich-muffige
Wien-Bayerischer Wald-Mutation. Völlig "out" ist das Cafe
Central (Nollendorfplatz), in dem einst der SO 36-Gründer Kippenberger
(der bekannte, umstrittene Berliner/Hamburger Künstler und Selbstdarsteller,
den DD unbedingt verteidigt. Und den du vergessen kannst, meine ich) von
Punks wegen seiner SO-Preispolitik k.o.-geschlagen wurde (es gibt tatsächlich
noch Leute, die dümmer und überflüssiger als Künstler
sind). Ab 4 Uhr kann man sich in der Schmuddelbar Mink (Paulsborner
Str./am Adenauerplatz) sehen lassen, dem neuen Hip-Treffpunkt mit Gesichtskontrolle,
wo du vielleicht auch mal Stripteasetänzerinnen siehst, die morgens
um 7 Uhr von der Arbeit kommen. Frühstück gibt es in den zahllosen
Studenten- und Künstler-Cafes. Am angesagtesten ist das Cafe M(itropa)
in der Goltzstrasse, mit abgerissenem Publikum und den üblich hohen
Preisen. Danach geht man schlafen oder nachmittags/abends ins Künstler
Wien-Café Einstein (Kurfürstenstraße). Ich schlafe
aber lieber nachts/morgens und gehe essen zum Burger King (in Berlin
gibt es fast kein McDonald's). Es wäre natürlich mehr "hip",
nach Ost-Berlin zu fahren (auch wenn das Essen dort noch unter Sauerkaut-Format
ist), aber dafür mußt du gern in Schlangen warten, die es dort
in jedem Imbiß gibt. Und der absolute Kult-Tip: nachts durch Ost-Berliner
Agentenbars zu streifen und den Chefideologen aus Berlin-Adlershof Karl-Eduard
von Schnitzler zu treffen (aus meiner Lieblings-DDR-Show "Der schwarze
Kanal").
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Das SO 36 vor 3 Jahren (Foto: G. Wellhausen)
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FUSSBALL
"Wir fahren doch lieber in den Süden hinunter als in den verdammten
Westen hinein" beruhigt Tasso Wild (Hertha BSC) im legendären
Bundesligaskandal-Telefongespräch den Offenbacher Präsidenten
und Südfrüchtegroßhändler Horst Gregorio Canellas.
Beim SO-36-Eröffnungsfestival bezeichnen die rheinischen Bands (die
Fußballfans sind und von den Berlinern für Künstler gehalten
werden) die Berliner Bands (die Fußball nicht leiden können
und sich für basisnahe Losgehbands halten) als "Led Zeppelin".
Die Hertha-Frösche (Deutschlands dümmster Fußball-Abschaum)
schlagen sich mit Berliner Punks (Deutschlands sehr dummen Punks). Und
Berlins Fußballmannschaften sind das einleuchtendste Beispiel für
das kollektive Versagen in der Frontstadt. Angefangen von Hertha BSC,
denen 1965 wegen unprofessioneller Dummheit und Tolpatschigkeit die Lizenz
entzogen wurde (1971 mußten sie beim Bundesligaskandal noch einmal
feststellen, daß man sich bei Dummheiten nicht erwischen lassen
darf), über Tasmania 1900 (Herthas Ersatz in der Bundesligasaison
65/66, mit dem schlechtesten Abschneiden aller Zeiten: 8-60 Punkte, 15-108
Tore) bis zu Tennis Borussia, deren Abstieg 1975 auch von diesem Triumvirat
nicht verhindert werden konnte: dem alten, ausgebrannten Italien-Heimkehrer
Karl-Heinz Schnellinger, dem Mäzen und ehemaligen Fußballprofi
Jack White (bürgerlich: Horst Nussbaum aus Pirmasens, der für
ein Punktspiel noch einmal als Vorstopper auflief) und dem Trainer Georg
"Schorsch" Gawliczek. Schließt sich der Kreis, wenn dieses
Jahr die drei Bundesligaskandal-Mannschaften Schalke, Kickers Offenbach
und Hertha (mit Trainer Gawliczek!) in die erste Liga aufsteigen?
SEX
In Berlin wird "viel gefickt" (sagt Tödliche Doris). Das
alte Boheme/Lebemann/Lebefrau-Klischee. Malaria machen jetzt Jagd
auf Stars (und deshalb hat DD keine Chance mehr, auch wenn er sich extra
auf die Pariser Gästeliste für das Malaria-Konzert setzen ließ).
Aber keine ordinären Pop-Stars wie Adrian Wright, der sie (damals
noch Mania D) Weihnachten 1980 in geistiger Umnachtung in Berlin besuchen
wollte (er hatte sie als Vorgruppe der Human League kennengelernt). Und
Mania D (Gudrun, Bettina) waren davon garnicht begeistert! Glauben sie
etwa, dass New Order die richtige Mischung aus Berühmtheit und intellektueller
Bedeutungsschwere haben?
"Wir leben das Leben, wie es ist! Wir sind keine Muff-Moralin-Prediger,
sondern wir sind offene Renaissance-Menschen und wollen das auch in der
öffentlichen Meinung zum Ausdruck bringen." (Joseph Goebbels
1934 in Berlin).
(Quelle: Sounds 6/82)
(1) Name auf Wunsch entfernt (15-11-05)
Kid P.!
1. In deiner Berlin-Story hast du mich vergessen.
2. Es ist zu heiß in B.
3. Wo blieb die Aufstellung der Drogen/Verbraucher?
4. Ich nehme z. Z. exzessiv Heroin, obwohl momentan die größte
Grütze angeboten wird. B. ist dermaßen langweilig und banal,
es bleibt einem nichts anderes übrig.
5. Ich empfehle, sich an Musikalischem nur AFN-Disco (Do. 21.00) reinzuziehen.
Tapen!
6. Begattung etc. ist bei mir mangels interessanter, aufregender Masse
eingestellt. Keine Erotik.
7. Kein Unterschied zwischen Touristen und einheimischen Kleiderständern.
8. Malaria sind lächerlich, "Alu" ist die einzige überzeugende
Gruppe weit und breit. Unterbewertet.
9. Mich findet man ab und zu im Dschungel, aber nur wegen Reizunterflutung,
und weil ich in eine Bedienung verliebt bin. Es wird spät. -
Sebastìan Solànge, Berlin
KID P. DU BIST EIN ARROGANTER WIXER!!!
wir ham alle dein "bärlin-bericht" gelesen, und sind zu
der auffassung gelangt, dasdu nen ganz großen idiot bist!!! welches
recht haste eigendlich hier anzukommen, wie nen befickter tourist und
dann hier de janze scene anzumachen, zu verscheißern und an allem
rumzumotzen, ohne die geringste ahnung von allem hier zu haben?!?! HÄÄ!!!
du bist ne ganz olle marmelade! wat währt ihr fotzen inwessiland
den schon ohne bärlin??? aber hier angeschissen kommen und alles
mieß machen, ihr wixa, det könnt ihr alle prima! denn wie singt
KFC-tommy so richtig: "wir sind gefangen in der brd!" na demnächst
"berichteste ja aus münchen, hoffendlich reißen de holzhackerbuam
dier ordendlich den arsch uff, wenn de da och sone kacke wie über
bärlin schreibst.
So, und nu wär icke mal einiges klar stellen: an PVCsülzste
rum, hör mal, die warn immerhin de erste deutsche punkband, allerdings
schon zu ner zeit alls ihr ihn euren wessi-nestern noch uff damned und
clash abgefahn seit! versuch du sack erstmal gittarre spielen wie der
knut schaller! am MUTFAK rummecken, obwohl du ihn nicht mal gesehn, bzw.
gesprochen hast, ist ja nun reichlich bescheuert von dir. aber f. butzmann
die fotze aus'm zensor diesem scheißladen, über den berichteste,
typisch!
und WHITE RUSSIA solln also ne prolo-krach-band sein, so so, na ick hab
se neulich erst wieder im remporom gesehn (mit nacktem sänger und
so gags) ob nu prolo-band, oder nicht, die sind immer noch voll welt!!
und zu doris und blixa bargeld, die sind immer noch besser als eure krupps,
der plan oder 'nachdenkliche wehrpfliche' oder son scheiß!!!
zu deinen "ausgehtips", sagmal, ins STONZ haste dich wohl nicht
getraut wa? na ist och besser so für dich, sonst hätten die
hardcorepunx, die da rumhängen schon dafür gesorgt das de mit
ner eingetretennen fresse aus bärlin verschwindest!!! ick halte dich
nämlich für sone art POPPER!!! UND NUN ZUM THEMA: PANK! DER
DICH JA 'NICH INTERESSIERT'! DU ARSCH!!! ICK SCHRIEB IN MEINEM LETZTEN
BRIEF AN EUCH "PUNK IST TOD" - NEEE! ICKE NEM'S ZURÜCK
- ER LEBT!!! JEDENFALLS HIER BEI UNS!!! TJA JA! TOTGESAGTE LEBEN LÄNGER!!!
IN ENGLAND ABER OCH! HORT EUCH MAL DIE JANZEN NEUEN PANKBANDS AN! NICHT
BLOS EXPLOITED!!! VOLL WELT!!! BRINGT DOCH IN DE NÄCHSTE SOUNDS NENPOSTER
VON KIT PEEE! DET HÄNG WA UNS UFFS KACKHAUS! DAMIT UNS DIE SCHEISSE
IM HALS STECKEN BLEIBT!!! UND DIE ADRESSE VON DEM LÜMMEL! DAMIT WA
DEM MAL UFF DE BUDE RÜCKEN KÖNNEN!!! IM ÜBRIGEN WO BLEIBT
N EIGENDLICH DER VERSPROCHENNE BERICHT ÜBER CRASS???! HÄÄÄ!!!
CAPTAIN VICIOUS
KREATUR
SID VIOLENCE
CAPTAIN SENSIBLE
(nee nich der von damned)
UND JENNY'S RATTE!
K-3 6 / BÄRLIN!
KIT PEEE FUCK OFF!!!
(Leserbriefe Sounds 7/82)
Lieber Kid P. Ich danke dir für deinen fabelhaften Berlin-Report.
Anerkennung! Das Interesse an uns ist sprunghaft angestiegen. Das Unfertige,
Hohle ist ja derzeit gefragter denn je, dein Artikel ist das beste Beispiel.
Und weißt du, was das Tollste ist: Wir reden wieder miteinander.
Ist es nicht wunderbar! Ja, wir sind jetzt wieder wer, und das ist gut
so. Danke, Kid P.!
Hannes Vester, Berlin
Bitte lüftet niie das Geheimnis um Kid P. Gerade Obskurität
machen ihn so lesenswert/anziehend.
Also zu Kid P. möchte ich sagen: so scheiße so ... spießer...
scheiße einfach ... scheiße, so ... spießer!
Diese Dofffies vom Haircut 100 auf Titelbild zu nehmen und den ganze Drei
(3) Seiten mit ganz großem Foto zu widmen ist echt Verschwendung.
Kleiner Vorschlag: schickt doch euren Hans Keller mal (wenn er sich traut)
zu Black Flag, Circle Jerks, Fear oder oder... eine Geschichte mit vielen
Fotos über Drei Seiten lang und Hebt ein Foto von Darby aufs Titelblatt.
(los! peitsch!)
P.S. auch könntet ihr was über Vollstarke bringen (es gibt jede
Menge die nur daruf warten loszuschlagen.) Vollstarken Fanzine "HAAR"
Auflage 500 zu beziehen über...
euer Vollstarkenkönig MAX Müller, Wolfsburg
Hallo Redaktion
Seid so gut und schmeißt diesen Klumpenwichser Kid P. aus der Redaktion.
Mit seinem dilettantischen Rotz versaut er das ganze Blatt. In Berlin
konnte er sieh der Prügel entziehen, wenn ich (alter Hippie) nach
Hamburg komme und das ist totsicher, werde ich ihm seine taube Nuß
so lange gegen eine Wand schlagen, bis der Löffel Grütze ausläuft.
Peter Kiff, Köln
(Leserbriefe Sounds 8/82)
Nach den aufregenden Dorau Enthüllungen: Tauscht Andreas auch Knibbelbilder?
Ersehne signierten "Fliegenden Hamburger." Aha.
gk, Köln
Die Wahrheit über Kaiserslautern.
Die Scene (bestehend aus 25 Punks incl. Sympathisanten) trifft sieh entweder
im Glockencafe, wo Doors oder an guten Tagen auch mal die neue Human League
läuft, oder in der Disco "Flash", dessen Programm zu 60%
aus "Highway to Hell", 20% "Fan Fan Fanatisch", 10%
"Riders on the Storm" und 10% "God save the Queen"
besteht. Die absolute Hip-Gruppe sind sowieso schon seit 20 Jahren die
Doors und werden es in dieser Stadt auch noch weitere 20 Jahre sein.
An Gruppen gibt es außer "Crossroad", die seit ihrem Bestehen
"Sweet Home Alabama" ins Publikum gröhlen und Dr. Future,
ekligen Zappa-Sympathisanten, nur noch "Awacs" mit Deutschrock
und Bläsergruppe inclusive mir, Kahlschlag, die Angelic Upstarts
nachspielen (mit mir am Schlagzeug) und die Gruppe von Kalle, die sich
wie eine Kreuzung aus Stranglers und DAF anhören (Hit: "Kalter
Krieg im Hinterhof").
Lieber Kid P., was glaubst du, was in einem Kaiserslauterer Punk, für
den jedes Konzert der drei letztgenannten Gruppen ein Ereignis ist, vorgeht,
wenn er deine Städteberichte liest? Hielt einen bisher noch der Gedanke
an eine Auswanderung nach Berlin am Lehen, so bleibt jetzt nur noch der
Sprung von unserem (Deutschlands weit höchstem!) Rathaus oder das
Ersaufen in der hiesigen BBK-Brauerei. Bitte, bitte, lieber Kid P., besuche
uns mal in unserem schönen Lautern, dann ist es uns nicht so langweilig,
und du kannst deine Städtereportagen noch mal überdenken. Zeit
und Ruhe hättest du hier dann!
Matthias Götte, Kaiserslautern
(Leserbriefe Sounds 9/82)
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