Mittagspause auf dem langen Weg nach Derendorf
interview
interview mittagspause 15.7.79 mit peter (voc) und thomas (g), kai/uli/detlef
(ag rock), alfred (sounds).
wir sitzen beim essen im lokal. im hintergrund eine laut brutzelnde fritten-maschine.
pommfritzmusik...?
peter: gutes geräusch.
uli: seht ihr möglichkeiten, dieses hintergrundgeräusch in euren gruppensound
zu integrieren?
peter: ja durchaus. wenn jetzt keiner mehr spricht und wir das band dann kriegen.
uli: wie würdet ihr das stück nennen?
peter: rockmusik.
uli: male haben ja gesagt: wir nehmen so dinge, die im leben passieren, daraus
machen wir stücke.
thomas: ja klar, das macht doch jeder.
uli: die bratkartoffeln ätzen.
peter: eigentlich ist es überhaupt das erste mal daß mich das geräusch
von zischenden bratkartoffeln interessiert.
kai: wenn man da jetzt noch ne grillwurst daneben legt hört sich
das schon ganz anders an.
thomas: das ist dann industrie, und wenn man darüber musik macht ist das
industrierock.
peter: genau. und dann kriegt man einen drauf.
thomas: so entsteht industrierock. wenn wir das nicht machen, sondern büromusik...
uli: pommesbudenmusik oder sowas...
peter: das ist vielleicht der nächste entscheidende schritt auf dem weg
zur weltherrschaft. es gibt wahrscheinlich noch mehr pommesbudenbenutzer als
bürobenutzer. "nichts wie hin zum burger king" - direkt genial.
antitanzmusik...?
peter: zu unserer musik kann man tanzen wenns sein muß oder man das will,
wenn wir gut sind und die leute gut sind geht das. wir machen im prinzip keine
antitanzmusik.
uli: eure platte fetzt, vor allem wenn man sie laut aufdreht. "innenstadtfront"
z.b. das sind auch stücke nach denen du tanzen kannst. da war ich total
überascht.
peter: einige leute denken, daß sich das anhört wie es aussieht (cover
usw.).
thomas: deshalb verstehe ich des nicht, daß uns die leute das vorwerfen.
intellektuellenmusik...?
uli: das liegt vielleicht daran, daß die leute das irgendwie mit intellektuellenmusik
oder so verbinden. das ist eigentlich auch schon wieder so ein schlagwort. grundsätzlich
finde ich das gar nicht schlecht. wenn man auch geräusche mit einbezieht,
was immer das ist, ne quietschende strassenbahn oder sowas hier, ne fritte.
aber auch da ist wieder die w i e das passiert, wie man das einbaut. bei eurer
platte wird des nur sparsam eingesetzt, an bestimmten stellen. das ist mir aufgefallen.
ich hab mir das ding mit dem eindruck aus dem konzert (in der 1. future-nacht)
angehört. sowas fand ich nervig, das war einfach müll.
peter: ich kann auch die into-the-future-platte nicht anhören. dieses bootleg
von alfred ist grauenhaft. das war wirklich unser allerschlechtester auftritt,
und der kommt auf platte.
thomas: 3 wochen später machen wir nen auftritt im ratinger hof, und da
müssen wir dann 3 zugeben spielen, z.t. vorm selben publikum. die ganzen
male-leute, die uns in hamburg zum kotzen fanden, die fanden das nun wieder
toll.
büromusik...? industriemusik...?
uli: wie würdet ihr euer ding da bezeichnen. habt ihr da ein schlagwort
für?
peter: musik beschreiben ist immer beschissen.
thomas: "die große gitarrenschaffe mit dem schmiedehammer-rytmus."
uli: das industrierock-schlagwort lehnt ihr doch ab.
peter: das sagt nichts aus. genauso wenig wie "büromusik".
uli: wir haben uns ziemlich lange mit male über "industrierock"
unterhalten. sie haben beispiele gebracht z.b. auf syph ziemlich lange rumgetrampelt.
da meinten sie: früher wäre das bei denen anders abgelaufen - du bist
ja gründungsmitglied von denen, thomas - da hätten die musik gemacht,
die noch irgendwie struktur hatte, war mehr harter punk oder sowas. haben sie
als punks jedenfalls aufgefaßt, und dann wäre da praktisch nur noch
harry rag übriggeblieben, und der würde heute praktisch nur noch'n
tonband ablaufen lassen, mit keyboard, melodica usw. auf der bühne herumexperimentieren,
ein paar gesprächsfetzen ins mikro reinknallen und sowas. das haben sie
als beispiel für industrierock gebracht.
experimentalmusik...?
peter: was hat das mit industrie zu tun?
thomas: das waren jetzt einige auftritte, die er so gemacht hat, weil er keine
begleitmusiker hatte. wie findest du denn syph auf der live-platte (into-the-future)?
das ist doch keine industrie sondern normale pop-stücke, rock oder sowas.
uli: das haben sie aber wahrscheinlich auch keine repräsentativen stücke
von denen ausgesucht.
thomas: doch. das waren 2 der bekanntesten stücke von syph. natürlich
- inzwischen experimentiert der. ich finde das gut, wenn einer versucht, dauernd
neue möglichkeiten für sich zu entdecken. der sagt auch gar nicht,
daß er punkrock machen will. ich weiß gar nicht, was ihm die leute
vorwerfen. man kann des vielleicht vom experimentieren her negativ beurteilen
aber nicht sagen: du machst keinen punkrock.
uli: male haben denen nicht vorgeworfen. daß sie sagen: leute, hört
mal her, wir sind punks, wir machen punkrock wo sie es in wirklichkeit nicht
machen. sie haben nur gesagt: die leute gehn da hin, werden genervt, weil sie
mit dem ganzen kram da nichts anfangen können.
thomas: wir wissen, daß diese art von musik nicht unbedingt populär
ist und die leute das auch in den falschen hals kriegen. aber man muß
doch nicht immer eine musik machen, bei der womöglich jeder im saal bleibt.
beim ersten sex pistols gig haben sie denen auch den strom abgedreht. bei richtigem
punk gehen auch immer noch leute raus. ich finde, das kann man einer gruppe
nicht vorwerfen.
einflüsse
alfred: das schlagwort vom industrierock ist vor allem im ruhrgebiet verbreitet.
aber es wird auch außerhalb angewandt. das kommt so wie ich das verstanden
hab daher, daß alle gruppen, die zwischen köln und dortmund existieren,
in einen topf geworfen worden sind, weil einige sich eben durch andere als normal-punkige
rytmen und durch andere texte hervorgetan haben. zum anderen kommt dazu, daß
man natürlich versucht hat, da einflüsse zu entdecken, z.b. pere ubu
und solche geschichten. sicher sind beide sachen irgendwo richtig, aber da stimmt
auch einiges nicht dran. ich weiß nicht - das müßtet ihr beantworten
- ob gerade düsseldorf von seiner struktur her keine industriestadt ist.
peter: das hat überhaupt nichts mit industrie zu tun.
thomas: es ist eine bank- und modestadt, verwaltung, halt ne landeshauptstadt.
alfred: wie kommen dann solche gruppen dazu, in solch einer stadt über
industriethemen was zu machen?
peter: es gibt in düsseldorf nicht eine einzige gruppe, die industrierock
macht.
thomas: nein, aber die einflüsse, die industrierock könnten entstehen
lassen, sind ja überall da. das ruhrgebiet ist in der nähe. selbst
wenn du nach köln fährst, kommst du an köln-kalk vorbei. das
ist ein derartig kaputtes industrieviertel, daß du das grausen kriegst.
die henkelwerke in düsseldorf sind auch imposant. das hat einflüsse
auf die rockmusik und das ist auch irgendwie begründet. wenn man in der
lüneburger heide lebt, klingt das vielleicht nicht glaubwürdig...
peter: was sagst du da eigentlich? erst meinst du, du machst keinen industrierock
und jetzt auf einmal...
thomas: nein! ich sage nur, das sind einflüsse, die da sein können.
ich sage doch nicht, daß wir industrierock machen. wenn einer das unbedingt
machen will in düsseldorf soll er das doch machen.
uli: das ist eigentlich 'n ganz alter hut. can z.b. die haben sowas vor fast
10 jahren schon vorgemacht.
thomas: der sänger von syph ist vorsitzender des einzigen deutschen can-fanklubs
(und der größte lebende kinks-fan - anm. mipau!). ich glaube devo
ist da gar nicht so entscheidend. die erste pere ubu lp ging da weg wie warme
semmeln.
kunstmusik...?
uli: male gingen noch weiter. sie machten den industrierockern
den vorwurf, "künstler" zu sein. das finde ich eigentlich
produktiver. was ist "kunstmusik"? das ist erstmal kein fetzender
rock...
peter: kunstmusik ist sehr schwer zu erklären. ich kann im
moment nur englische beispiele anführen, kennst du die mekons? das
ist wirklich reiner fetzrock, wie du sagst. vielleicht sogar "ätzend"
(über die bedeutung von "ätzen", was die düsseldorfer
nicht kennen, hatten wir am anfang länger rumgealbert). auf jeden
fall richtiger punk rock, schnell gespielt, teilweise falsch gespielt,
aber immer witzig, originell und so. das sind wirklich auch punks, die
darauf abfahren. das sind alles kunststudenten, die das machen.
thomas: sind künstler schlechte menschen oder dürfen
künstler keine rockmusik machen?
uli: es geht mir um die musik, weniger wer sie macht, und wie die
leute hinter ihrer musik stehen.
alfred: ich meine schon, daß intellektuelle eher möglichkeiten
haben, bestimmte andere formen zu entwickeln als das was gerade gängig
ist. die sind offener für andere einflüsse.
uli: das halt ich für'n vorurteil.
alfred: das ist kein vorurteil. das stell ich immer wieder fest.
definitionskrampf = eng
thomas: ich glaube es geht darum, daß musiker, überhaupt kreative
leute, halt auf ihre umwelt reagieren und das versuchen in ihrer - nicht "kunst"
- aber in ihrer sache, die sie machen, wiedergeben. das finde ich keine schlechte
sache. immer nur diese frage: isses kunst? oder isses nicht, das finde ich so
eng. ich finde "rock around the clock" ist auch'n kunstwerk oder "i
wanna hold your hand" oder "light my fire".
peter: "zensur dub" z.b. ist doch ein "kunstwerk".
thomas: wenn herr beuys seinen daumen in butter abdrückt, dann ist das
genauso ein kunstwerk wie "rock around the clock".
uli: bei "kunst" habe ich die vorstellung das ist eine sache, da will
sich jemand mit ausdrücken, sein innenleben, seine gefühlswelt, sein
ego darstellen.
thomas: sein reagieren auf umwelt.
uli: ja, oder so. ich frage mich für wen das eigentlich gemacht
wird, es gibt solche und solche kunst. es gibt künstler die machen kunst
um der kunst willen, das wär der extremste fall. dann gibt's künstler,
die versuchen kunst "massenwirksam" zu machen, mehr leute damit zu
erreichen.
peter: der kfc?
uli: nein, ich will mich jetzt gar nicht beim punk oder sonstwas aufhalten sondern
bei musik generell. jazz z.b. hat ja im großen und ganzen so das image:
das ist eben kunst um der kunst willen. es sind auch nur ganz bestimmte leute,
die's machen und nur ein bestimmter insider-kreis, für den des gemacht
wird und der das auch konsumiert. da steckt ne ganz andere absicht, "message"
usw drin als z.b. im punk.
alfred: ich finde es gerade toll, daß new wave, punk oder wie man's bezeichnet,
gerade in deutschland noch ne individuelle sache ist, wo du die verschiedensten
richtungen hast und leute sich auch verschiedene mittel erarbeiten. wenn du
da eine kunstdiskussion führst über die verschiedenen richtungen,
führt das ins abseits. ich glaube es geht vielmehr darum, sich zu fragen:
wie kommen leute überhaupt dazu, sich eben mit musik auszudrücken,
wie kann man das weiterbringen, daß jetzt viele gruppen in der deutschen
new wave anfangen, platten selbst zu produzieren, das finde ich eine ganz wichtige
sache.
stilwandel
uli: trotzdem ist das für mich ... wenn das einfach zu esoterisch wird,
zu nervig...
peter: ich wurde mit der zeit einfach gelangweilt von dem was ich 2 jahre gemacht
habe. wir waren eine von den gruppen, die damit früh angefangen haben.
wir haben rumgehackt, rumgefetzt, aber das wird mit der zeit langweilig. male
hat das damals mit uns zusammen angefangen, aber die haben sich mehr in eine
andere richtung entwickelt. das war am anfang genauso, aber male ist dann mehr
in richtung pop gegangen. es ist alles gut mitzukriegen, eingängig.
uli: die würden das bestimmt abstreiten.
peter: wir können vielleicht nicht so gut pop machen. wir haben z.b. keinen
gitarristen, der solche solos macht. wenn jemand 2 jahre lang dasselbe macht,
da steht ich nicht drauf. da wird nichts bei rauskommen außer vielleicht
geld zu machen.
uli: für mich ist nicht nur entscheidend d a ß jetzt so neue musik
rauskommt, sondern auch w i e sie gemacht ist, für wen sie gemacht ist,
wie sie ankommt, auch wie sie mich anspricht. die daf musik z.b. die finde ich
nervig...
alfred: die daf-platte ist sehr nervig, ja. aber das ist keine daf-platte. ein
paar leute sind da weg, sie läuft nur unter dem namen daf.
uli: daß das jetzt eine "junge deutsche gruppe" ist, die "new
wave" macht, sagt für mich noch nicht viel aus. ich finde gruppen
wie male oder hansaplast nicht schlecht, da kriegt man mit, die machen keine
kunstmusik, nicht irgendwie was aufgesetztes, konstruiertes, sondern die spielen
so drauflos, und man merkt die haben bock auf ihre musik und die stehen dahinter.
thomas: alles was du gesagt hast: die haben bock auf die musik, die spielen
drauf. los, alles trifft auf syph zu.
clash-parodie & deutsche zustände
uli: zu eurer platte. von den texten versteh ich da rein akustisch nicht alles,
wie habt ihr das ding aufgenommen usw.
thomas: die frühere besitzerin des ratinger hofes, bei der wir 1 lahr lang
im keller geübt haben, war scharf auf ne platte und wir euch. sie hat die
aufnehme in die wege geleitet in einem kleinen studio in d-derendorf, sehr billig,
keine dubs oder was teures. das war das gleiche studio wie bei male, nur'n paar
wochen später. eigenes label, geringe auflage, 1000 stück. zu den
texten, das macht peter.
uli: z.b. "wir sind die türken von morgen" (militürk).
peter: wir waren in berlin, das türken-getto in kreuzberg, so-fest usw.
thomas: die vorstellung von nem volk zum ausnutzen, diese mauerstadt...
peter: tiefsinnig kann man interpretieren: der türke in der gesellschaft...
thomas: volk im ausland, diese getto-situation halt.
peter: das trifft wahrscheinlich auch auf die meisten leute normalerweise zu,
die situation in der du bist.
thomas: "intelnet" ist in seiner endversion auf der platte ne parodie.
uli: "innenstadtfront"?
peter: das ist sehr schnell (eine sehr schöne antwort!)
uli: ist das so ähnlich wie "großeinsatz" von male?
peter: es ist hauptsächlich ne zusammenfassung aus zeitungsschlagzeilen.
dann das ganze immer so ein bißchen mit dem hintergedanken an clash im
kopf. ich habe mir gedacht, so dreckig wie denen london gehts dir nicht, und
dann kam da ne clash-parodie bei raus. es ist eine anhäufung von klischees
wie auch oft in diesen clash-texten, "krieg in der innenstadt" und
so. clash haben sich ja dieses bild vom aufstand in den großstädten
aufgebaut. Ich finde das ist einfach nicht so. es ist nicht immer nur krawall
und krach.
thomas: es ist im gegensatz zu male, die lage ist ruhig in der innenstadtfront.
bei male sind wasserwerfer in der altstadt, minenwerfer und so.
peter: "kampfzone altstadt nachts erhellt".
thomas: was passiert in der altstadt? die leute saufen bier in megatonnen. mehr
passiert da nicht. ich hab noch nie panzer oder ne panzersperre in der altstadt
gesehen.
peter: "derendorf" ist'n terroristenstück. der stoll ist da erschossen
worden, der hatte da ne konspirative wohnung.
thomas: andere texte sind über zeitungen ("überblick"),
"nordpol" über ne polizeikontrolle.
drang anderen was zu sagen
alfred: ihr habt doch ganz früher noch englische texte gemacht?
peter: ich hab noch nie'n selbstgemachten englischen text gesungen.
zu den alten sachen steh ich nicht mehr. ich kann nicht mehr sagen, wie
wir zu deutschen texten gekommen sind.
alfred: kam das durch andere deutsche gruppen, die deutsche texte
gemacht haben?
peter: ich weiß nicht. ich hab vorher noch nichts gehört
von anderen. die straßenjungs fand ich sogar beschissen.
thomas: das war wie ein ruck mit den deutschen texten. irgendwann
sagte sich jeder: wir machen jetzt deutsche texte.
uli: glaubt ihr nicht, daß das auch was mit mode zu tun hat?
jetzt kommen ne menge neuer deutscher bands, die "new [wave"]
machen, und die haben fast alle deutsche texte... (syph und charley's
girls waren die ersten - anm mipau).
thomas: ich würde das auch scheiße finden, wenn ne englische
gruppe deutsch singen würde, cabaret voltaire oder sowas.
peter: oder die deutsche fassung von bowies "helden".
thomas: fürchterlich finde ich das. viele von denen, die jetzt
anfangen, können kein englisch oder nur 3.-klassig. irgendwo hat
man doch den drang, anderen leuten was zu sagen. ich kann das nicht verstehen,
daß eine punk-gruppe auf dem direktesten level was mitteilen will
und dann englisch singt. die haben für mich so gut wie ausgeschissen,.
uli: von welchen gruppen, die jetzt angefangen haben, zu produzieren,
wird man noch etwas länger hören?
peter: schwer zu sagen. wir kennen eigentlich nur unsere gegend.
von hamburg hab ich den dankbar schlechtesten eindruck mitgenommen, genauso
von berlin.
thomas: syph wird weiter verteidigt gegen alle haßrufe aus
nord-, west-, süd- und ostdeutschen landen.
(Quelle: Rockmusik. Zeitung der AG Rockmusik / Hamburg - Nummer 4/Oktober
1979)
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